Die Arbeitsgruppe "Schöpfungsbewahrung heute" wurde von Bernd Winkelmann aufgebaut und wird von ihm geleitet (Bernd-Winkelmann@web.de). Stellvertreterin ist Johanna Moltmann-Hermann <oenw.hermann@gmx.de>. Sie umfasst weniger als 10 aktive Mitglieder. Es finden gelegentlich Arbeitstreffen statt. Die AG hat die folgenden Texte erarbeitet und sich vorgenommen, diese zu einem gemeinsamen Arbeitspapier zu "verdichten". An dem Papier wird gearbeitet.
 Zwischenbericht der AG Schöpfung
 Paradigmenwechsel in Politik, Wirtschafts- und Lebensweise (Winkelmann)
 Konsum aus dem Blickwinkel der Biologin (Moltmann-Hermann)

Zwischenbericht der AG Schöpfung

zum kleinen Ratschlag der Ökum. Basis-Bewegung

am 24./25. Nov. 2000


1. Uns ist wichtig geworden, den konsumistischen Lebensstil in den Ländern des „Nordens" in den Fokus von Diagnose und Therapie der globalen Krisen zu rücken. Zwar entstehen die weltweiten, lebensbedrohenden Krisen offenbar auch aus einer Eigendynamik der neoliberalen Globalisierung (vgl. These 2). Aber der scheinbar so „private" Verbrauch ist dabei ein Motor, und er beruht weitgehend auf der Ausbeutung der Armutsländer, der Zerstörung der Mitwelt, auf militärischer Gewalt (bis hin zu Rohstoff-Kriegen) und geht zulasten der Zukünftigen.


2. Wir stellen fest, dass unsere konsumistische Lebensweise eine Folge des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist, das wie eh und je Überproduktion hervorbringt und auf permanentes (exponentielles) Wachstum drängt, damit möglichst viel des eingesetzten Kapitals sich maximal vermehren kann. Da in den Ländern des „Nordens" alle normalen materiellen Bedürfnisse längst und für (fast) alle befriedigt sind, müssen immer absurdere Marktstrategien entwickelt werden: geplantes technisches und modisches Veralten der Produkte, Wegwerfwaren, Trendsetting für Unnützes, Kult-Marketing (= Instrumentalisierung ethischer und religiöser Bedürfnisse). Im Kapitalismus „müssen" wir immer mehr konsumieren - schon zum Erhalt der Beschäftigung! Das ist aber nicht mehr verantwortbar und auf der begrenzten Erde auf Dauer gar nicht realisierbar.


3. Wir machen uns bewusst, dass wir selbst, obgleich es sich beim Konsumismus um einen gesellschaftlichen Strukturzwang (um „strukturelle Sünde") handelt, nicht nur ' Opfer1' sind, sondern zugleich auch 'Täter' (und wären gerne auch noch 'Retter'). In unserer Selbstwahrnehmung sind wir gerade beim Konsumieren Freie, zumal wir tatsächlich bei den meisten Konsumentscheidungen nicht nur das Was und das Wieviel, sondern auch das Ob frei entscheiden könnten.


4. Uns ist aber aufgefallen, dass das Konsumverhalten in den Industrieländern - also auch unser eigenes Konsumieren -.alle Symptome von Suchtverhalten hat (im Sinne von Abhängigkeit oder Co-Abhängigkeit in einem umfassenden Sucht-System). Deshalb sprechen wir in unserer AG von Konsumismus und meinen damit eine gesellschaftliche (eher als eine individuelle) Krankheit. Dabei geht es zwar nicht um jenen Verbrauch, der der Befriedigung von Grundbedürfnissen dient; aber auch nicht bloß um auffällig zwanghaftes Kaufen oder um den Luxuskonsum der Reichen. Im Nord-Süd-Vergleich gehören wir alle zu den Reichen, und hinsichtlich der ökologischen Auswirkungen ist manches Konsumieren selbst von Sozialhilfe-Empfängern unverantwortlich und nicht zukunftsfähig. Besonders anfällig für alle Arten von Sucht, also auch für Konsum-Sucht, sind Jugendliche, weil sie in ihrer Identitätssuche besonders offen sind für „sinnstiftende" Werbung.


5. Wir erkennen, dass - gerade wenn die Sucht-Diagnose zutrifft - nicht eine Aufforderung zum Konsumverzicht hilft, sondern nur das Angebot von Konsumbefreiung. Insofern sehen wir keinen Sinn in verschärfter Umweltethik oder in Maßhalte-Appellen, und wir wollen nicht alle Annehmlichkeiten des modernen Konsums asketisch oder puritanisch vermiesen. Es geht darum, bei uns allen die Einsicht in die Konsum-Abhängigkeit zu wecken, wirksame Sucht-Befreiungstherapien anzubieten und verlockende Alternativen einer einfacheren, freieren, glücklicheren Lebensweise zu entwickeln.


6. Wir können anknüpfen an den bei vielen Menschen zunehmenden Gefühlen von Überdruss, Betrogensein, Sinnleere, Orientierungslosigkeit und der ebenfalls ansteigenden Suche nach Alternativen zur jetzigen Lebensweise. Beide Phänomene lassen sich deuten als Symptome eines kulturellen Umbruches, der sich ja auch in den Wissenschaften und anderen gesellschaftlichen Bereichen ankündigt (Paradigmenwechsel). Systemimmanente Korrekturen werden nicht genügen; es geht um eine Verstärkung jener grundlegenden kulturellen Transformation, die bereits im Gange ist. Umkehr steht an und Aufbruch ins Zukunftsfähige.


7. Wir können uns vorstellen, dass eine Theologie der Befreiung entwickelt werden kann, die auf diese europäische Situation von Unfreiheit und Abhängigkeit bezogen ist. Wichtiger noch wäre eine Praxis der Befreiung, die sich - ähnlich wie in den lateinamerikanischen Basisgemeinden - im Alltag der aktiven Christen aus Solidarität und gegenseitiger Ermutigung und vor allem in gelebter Spiritualität entfaltet. Eine Abkehr von den materiellen Werten der jetzigen Kultur und eine neue Hinwendung zu den nicht-materiellen Quellen unseres Glaubens wäre heute die Umkehr, zu der Jesus uns ruft.


8. Wir wünschen uns deshalb, dass die Aktivitäten des Konziliaren Prozesses nicht in erster Linie nach »oben" und nach „außen" in Kirche und Gesellschaft gerichtet werden, sondern zunächst und vor allem an uns selbst, die noch bestehenden und neu anzuregenden Gruppen der ökumen. Basisbewegung, an unser kirchliches Milieu im weiteren Sinne (kirchliche Publikationen, Akademien, Kirchentage). Wenn wir darüber hinaus auch die Kirchenleitungen, politischen Gruppierungen und öffentlichen Medien ansprechen können, wäre es umso besser. Eine besondere Zielgruppe sehen wir in den Jugendlichen, die gerade auch außerschulisch mit speziellen Programmen angesprochen werden sollten (z.B. zur Weckung ihrer Kreativität oder der Naturverbundenheit). Es geht uns also um nichts Geringeres als die Entfachung einer Konsum-Befreiungs-Bewegung. Das könnte und sollte ein neuer Fokus für unsere ökumenische Basisbewegung werden.