Prophetie
Die machtkritische Prophetie Israels entstand im 9. Jh. als Reaktion gegen die Spaltung der Gesellschaft in eine verarmte Unterschicht von Kleinbauern und eine reiche Oberschicht von König, Grossgrundbesitzern, Beamten, Militärs und Priestern. Als ihre Vertreter gelten Elia und Elischa.1 Später taucht eine kritische Prophetie „wellenartig während drei Epochen weltpolitischer Krisen in Israel auf. Als die assyrische Expansion die Existenz der palästinensischen Staatswelt bedroht, melden sich ... zuerst im Nordreich um 750 v. Chr. Amos und Hosea, danach in Juda Micha und Jesaja zu Wort. Nach der Unterwerfung unter das Assyrerreich schweigen für 70 Jahre die Quellen. Erst als dieses ins Wanken gerät und eine Ablösung durch die neubabylonische Herrschaft sich abzeichnet, kommt es mit Zephanja, Habakuk, Jeremia und Ezechiel zu einer zweiten Welle kritischer Prophetie. Die Heraufkunft der persischen Oberherrchaft ab 520 v. Chr. ruft dann einen letzten Schub mit Deutero- und Tritojesaja, Haggai und Sacharja hervor, der allerdings nur noch bedingt gesellschaftskritisch ausgerichtet ist."2
Den ProphetInnen oblag in erster Linie „die aktualisierende Interpretation der Tora. Häufig treten sie deshalb als WarnpredigerInnen auf und bekommen die Funktion von Oppositionellen des Systems ... Bald erscheinen sie als Bussprediger, bald als Kabarettisten, mal als ausgeflippte Satiriker, mal als griesgrämige Asketen, dann wieder als Poeten und Träumer. Teils sind ihre Ausdruckweisen stark an überlieferte Konventionen gebunden, teils überraschen sie mit ausgefallensten und provokativsten Ideen."3
Option für Arme und Schwache
Die Propheten standen auf der Seite der wirtschaftlich Armen und machten sich für die Elenden im Volk stark. Sie setzten sich für jene ein, die als Witwen oder Waisen sozial schutzlos waren.4 Ihr Parteilichkeit beschränkte sich nicht auf die Schwachen im eigenen Volk, sondern bezog auch die Fremden ein.5 Mit Berufung auf den Propheten Jesaja vertrat auch Jesus diese Parteinahme. Anlässlich seines ersten öffentlichen Auftretens in der Synagoge von Nazarert fasste er programmatisch sein Grundanliegen zusammen, als er seine Option für Arme, Gefangene, Blinde und Zerschlagene erklärte.6
Sozialkritik
Die prophetische Kritik richtete sich gegen die Akkumulation gesamtgesellschaftlichen Reichtums in den Händen weniger. Dabei ging es v.a. um die Anhäufung von Grundbesitz und Häusern.7 Die Propheten griffen die Ausnutzung des Kredit- und Pfandrechts durch die Reichen an, weil dies nicht nur zur Verarmung, sondern zur Lebensvernichtung und zur Sklaverei führte.8 Sie kritisierten, dass Feste und Sabbat lediglich als hinderlich für die Geschäfte betrachtet, die Masse manipuliert, die Preise angehoben und die Waagen gefälscht werden. Die Kritik richtet sich dagegen, dass alles zu Geld gemacht wird, selbst die den Armen vorbehaltene Nachlese des Getreides.9 Sie beklagten die Beugung des Rechts zu Lasten der Armen.10 Die Kritik konnte sich auch auf das Königs- und Beamtensystem als solches erstrecken.11 Stattdessen forderten die Propheten Recht und Gerechtigkeit.12
Kultkritik
Beginnend „mit Amos verurteilen die Prophetenschriften das kultische Brauchtum ihrer Zeitgenossen und künden, dass Jahwe auf den gottesdienstlichen Verkehr mit Israel völlig verzichten und die zentralen Heiligtümer im Land zerstören werde."13 Die prophetische Kritik richtete sich auch gegen korrupte Priester und Propheten.14 Micha geht so weit, sogar das Ende der Stadt Jerusalem samt dem Tempel anzudrohen.15 Zentral wandten sich die Propheten gegen einen unglaubwürdigen Kult.16
Götzenkritik
Der Prophet Jeremia warnte davor, auf die Götter der Heiden zu vertrauen; denn sie sind alle nichts, blosses Werk von Menschenhand und wie lächerliche Vogelscheuchen im Gurkenfeld.17 Die Prophetie qualifizierte als Götzendienst, sich einem von Menschen gemachten Werk zu unterwerfen.18
Grundanliegen der Prophetie
„Die Prophetie greift innerhalb des vergeschichtlichten Reiches seismographisch jene Zeichen der Zeit auf, die die Utopie des Reiches Gottes gegenwärtig machen, und verstärkt so den Kontrast zur unerlösten Realität und damit den Wunsch, die Ketten der Unterdrückung zu sprengen."19