AG "Theologische Grundlagen"


Apokalyptik


(1.Geschichte) Die Apokalyptik ist eine späte biblische Denk- und Redeweise. Sie entstand als Reaktion auf den Versuch der gewaltsamen Hellenisierung Israels durch den Perserkönig Antiochus IV (175-164 v.Chr.). Die Apokalyptiker deuteten jene Krise, die den Glauben und die Identität Israels bedrohte, als Vorzeichen einer die ganze Welt erfassende Katastrophe. Alle widergöttlichen und menschenfeindlichen Mächte werden dem Gericht verfallen. Nur die, die treu geblieben sind, werden gerettet, und Gott wird ihnen einen neuen Himmel und eine neue Erde als Lebensraum übergeben.


(2. Intention) Das griechische Wort "apokalypsis" bedeutet "Offenlegung", "Eröffnung", "Offenbarung". Apokalyptik hat es in diesem Sinne mit "Offenlegung" zu tun: mit der "Entlarvung" der gegen Gott und die Schöpfung gerichteten Prozesse und mit der "Eröffnung" des Gerichtes über alle Mächte, von denen solche Entwicklungen ausgehen. Angesichts einer gegen Gott rebellierenden Welt mahnen die Apokalyptiker, nicht auf vordergründige Realitäten, sondern auf die von Gott gesetzten Wertmaßstäbe zu setzen. Mit der Vorstellung vom Weltuntergang und vom Gericht suchen sie in bedrängten Zeiten, den Blick auf Gott als Zielpunkt aller Geschichte freizulegen. Die Bilder vom Ende zielen immer auch auf die Gegenwart. Der Blick auf das Ende eröffnet, was die Geschichte schon jetzt verborgen bestimmt. Die apokalyptische Schau will so nicht nur Endzeitvisionen vermitteln, sondern auch einen Schlüssel zur Entzifferung der jeweiligen Gegenwart bieten.


(3. Dualismus) Apokalyptik lebt von Kontrasten. Sie ist von ihrer Grundstruktur her nicht auf Differenzierungen, Toleranz und Übergänge ausgerichtet, sondern auf Gegensätze, Abgrenzungen und Aporien. Sie rückt Unvereinbarkeiten ins Licht, macht Gegensätze sichtbar und bietet eine "Weltdeutung und Existenzerhellung in Dualitäten" (Chr. Münchow). Der neuen Welt steht die alte, noch bestehende gegenüber, die als bedrückend empfundene Gegenwart dem Kommenden, der Sünder dem Gerechten, der Zugehörige dem Außenstehenden, der Entschiedene dem Unentschiedenen. Apokalyptik widersetzt sich dem alles einebnendem Kompromiss, besteht auf Unterscheidbarkeit und leitet so zu einem kritischen Umgang mit der Welt an. Sie mobilisiert Bilder wider die Übermacht des "status quo", um im Menschen wieder die Bereitschaft für die Möglichkeit von Zukunft anzustoßen. Sie ist aber von ihrem Ansatz her nur am Heil dessen, der sich treu verhält, interessiert, nicht aber an der Rettung der Menschheit und der Welt. Sie macht so zwar "Hoffnung zum Handeln in der Welt. Hoffnung zum Handeln für die Welt vermag sie nicht zu gewähren." (Chr. Münchow)


(4. Rezeption) Die apokalyptische Denk- und Redeweise ist besonders in Krisenzeiten bzw. in Epochen mit einer für viele nicht zu durchschauenden Entwicklung rezipiert worden. Man meinte an bestimmten weltgeschichtlichen Fixpunkten Phasen des Weltgerichtes ablesen zu können, bediente sich des apokalyptischen Dualismus, um Andersdenkende auszuschließen, oder propagierte unter Berufung auf die Apokalyptik den Rückzug aus der Verantwortung für unsere Welt. Eine sachgemäße Rezeption wird dagegen immer auch die Grenzen des apokalyptischen Systems im Blick behalten müssen: Entschiedenheit darf nicht unter Berufung auf die Bibel zur Intoleranz, Besserwisserei oder zur Ausgrenzung Andersdenkender führen. Angemessene Rezeption bedeutet auch, den Bezug auf die Welt stärker zu betonen als dies in apokalyptischen Texten geschieht. Die neue Schöpfung ist zwar gänzlich Gabe Gottes, sie setzt aber auch die "erste" Schöpfung voraus. Die Zusage am Ende der Bibel, "Siehe, ich mache alles neu!" (Offb 21. ) nimmt deren Eingangsbekenntnis auf: "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde..." (Gen 1,1,). Wir sind und bleiben dieser Erde verpflichtet.