Die Arbeitsgruppe "Frieden heute" wird von Prälat Dieter Grande <Bistum-DD.Grande@t-online.de> geleitet. Sie umfasst ca. 10 aktive Mitglieder. Es finden jährlich jeweils mehrere Arbeitstreffen statt. Die AG hat den folgenden Entwurf für ein Arbeitspapier erstellt. An dem Papier wird weiter gearbeitet.
 Arbeitstext der Arbeitsgruppe

Nachhaltiger Friede

Zum Paradigmenwechsel in der Friedensarbeit

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Ein Beitrag für die Dekade zur Überwindung der Gewalt






0. Einführung


Bereits die Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung 1988/89 in Dresden-Magdeburg-Dresden hat im Beschluss 1: "Umkehr zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" einen Paradigmenwechsel von der Lehre vom gerechten Krieg zu einer Lehre vom gerechten Frieden angemahnt (Ziffer 36). Nach der Überwindung der Ost-West-Konfrontation wurde die Staatenwelt vor zusätzliche Herausforderungen gestellt. Ihre politische Fortentwicklung hält jedoch mit den Anforderungen an konstruktive Konfliktbearbeitung nicht Schritt, welche sich aus lokalen und regionalen Auseinandersetzungen ergeben. Die verbreitete Redeweise von einer "Weltgemeinschaft" geschieht noch immer im Vorgriff auf eine Wirklichkeit, die sich bis heute allenfalls in grundlegenden Strukturen abzeichnet. Um so wichtiger ist es, heute erneut darüber nachzudenken, wie die Überwindung der Institution des Krieges, die die Ökumenischen Versammlungen Ende der achtziger Jahre einmütig forderten, schrittweise gelingen kann. Dazu will dieser Text einen Beitrag leisten.

Die Friedensbewegung hat keine einmütige Antwort zur Frage bewaffneter Interventionen finden können. Die Schwierigkeit einer solchen Antwort liegt in der Sache selbst begründet: Eine bedingungslose Ablehnung jeglicher Gewaltanwendung stellt – auch dort, wo sie sich als prophetisches Zeichen versteht - vor die Frage, wie zu handeln ist, wenn ohne bewaffnetes Eingreifen schutzlose Dritte Opfer fremder Willkür und Gewalt zu werden drohen. Eine auch unter noch so strengen Bedingungen bejahte Gewaltanwendung zugunsten bedrohter Dritter sieht sich andererseits vor dem realen Risiko, dass im Vollzug von Gewaltanwendung die gesetzten ethischen Grenzen durchbrochen werden – es droht stets die Verstrickung in eine immer schwerer steuerbare Eskalation, in die "Spirale der Gewalt". Offenbar wird in diesem Dilemma jene Eigendynamik, die in vielen Formen organisierter Gewaltanwendung anzutreffen ist und sich der Einhegung durch Ethik und humanitäres Völkerrecht immer wieder entzieht. Dadurch wird zugleich deutlich, dass und warum ein einfaches Ja oder Nein zum Problem der Intervention den aufgeworfenen Fragen nicht gerecht werden kann.

Jenseits dieser Kontroverse bleibt es aber die entscheidende Gemeinsamkeit aller Menschen, die den Frieden vorantreiben wollen, dass sie gerade wegen der bedrängend ungelösten Fragen, die sich mit der Gewaltthematik verbinden, alles dafür tun müssen, der Gewalt vorzubeugen, "den Sumpf der Gewalt auszutrocknen". Nur so lässt sich auch verhindern, dass Gewalt immer wieder mit dem Argument politisch legitimiert werden kann, sie sei in der gegebenen Situation die "ultima ratio", weil gewaltvermeidende Alternativen nicht zur Verfügung stünden. Aus dem Geist dieses Konsenses ist das vorliegende Papier entstanden, und von ihm wird es getragen.

Die folgenden Positionsbestimmungen versuchen, sich bereits abzeichnende positive Entwicklungen zu unterstützen und zu verstärken. Durch das Benennen von Aufgabenfeldern ergeben sich für Politik, Kirchen, Kirchgemeinden und engagierte Christinnen und Christen Möglichkeiten gemeinsamen friedensethischen Handelns.


1. Vom "gerechten Krieg" zum "gerechten Frieden"


1.1 Um die Ursachen von Krieg und Gewalt zu bekämpfen, sind verlässliche gerechte politische und wirtschaftliche Strukturen zu errichten und zu stärken.

Autoritäre Machtverhältnisse müssen durch den Aufbau demokratischer Strukturen verändert, Unterentwicklung muss durch eine umfassende Strategie zur Armutsbekämpfung überwunden werden, damit eine Hauptursache für gewaltsame Konflikte im Vorfeld abgebaut wird. Dies macht Veränderungen im Bereich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen notwendig, aber auch die innerstaatlichen Strukturen bedürfen in vielen Ländern der Reform.


1.2 Anstelle des Nachdenkens über die Bedingungen und ethischen Grenzen, denen der Gebrauch von Gewaltmitteln zu unterliegen hat, besteht primär die Pflicht zu einer präventiven Politik.

Sowohl die Träger der Politik wie die Zivilgesellschaften müssen frühzeitig auf sich anbahnende Konfliktsituationen reagieren und dürfen nicht warten, bis von den Konfliktparteien bereits Gewalt angewendet wird. Es muss ein politisches Frühwarnsystem entwickelt werden, das zeitgerechtes Reagieren zur Folge hat. Hier ist besonders die kritische Aufmerksamkeit und wahrheitsgemäße Berichterstattung der Medien von Bedeutung. Aber auch Hilfsorganisationen, zivile Friedensdienste und die Kirchen können durch ihre weltweite Präsenz wesentlich zu einer frühzeitigen Warnung vor eskalierenden Konflikten beitragen; sie sollten ihre Beobachtungen von gefährlichen Entwicklungen stärker in die Öffentlichkeit tragen und müssen mehr als bisher bereit sein, sich politisch für zeitgerechtes Handeln zu engagieren. Das jahrelange Verschweigen von Missständen und Fehlentwicklungen hat die Wirkung einer Bombe mit Zeitzünder.


1.3 Verwirklichte Gerechtigkeit wird zum qualifizierenden Merkmal eines Friedenszustandes.

Jeder Versuch, Frieden zu verwirklichen, kann nur insoweit gelingen, wie ungerechte durch gerechte Strukturen ersetzt werden. Innerhalb der Staaten, wie auch im internationalen System müssen überkommene außen- und wirtschaftspolitische Interessengeflechte dahingehend verändert werden, dass sie einem Mehr an Gerechtigkeit dienen. Dazu gehört auch der Vorrang der Politik gegenüber wirtschaftlichen und militärischen Interessen.


1.4 Verletzungen von Menschenrechten sind Verletzungen der Gerechtigkeit.

Die Charta der UN hat die Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu einem ihrer wichtigsten Ziele erklärt und alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, gemeinsam und jeder für sich, dieses Grundziel anzustreben. Es kann nicht in das Belieben der jeweiligen staatlichen Machtträger gestellt sein, ob und welche Menschenrechte garantiert werden. Verletzungen von Menschenrechten müssen durch die internationale Staatengemeinschaft stärker geahndet werden. Das Eintreten für Menschenrechte ist in sich schon eine Methode der Gewaltprävention.


1.5 Friede hat deshalb notwendige politische, ökonomische, ökologische und soziale Voraussetzungen.

Die Menschenrechtspolitik muss auch die wirtschaftlichen und sozialen Rechte einbeziehen. Armutszonen und soziale Krisenregionen stellen eine ständige Bedrohung auch für die reicheren Länder dar. Ökonomische, ökologische und soziale Programme gerade in den armen Ländern sind notwendige präventive Maßnahmen, um Frieden für die Zukunft zu sichern.


2. Von einer am eigenen Nutzen orientierten Interessenpolitik zu einer Politik, die einem übernational verstandenen Gemeinwohl dient


2.1 Überkommene Unrechtsverhältnisse und nationalstaatliche Eigeninteressen müssen durch die Förderung eines global verstandenen Gemeinwohls überwunden werden.

Die Globalisierung wird zu einer tödlichen Gefahr, wenn sie allein zur Durchsetzung egoistischer Interessen von Staaten, Staatengruppen oder wirtschaftlichen Verbänden missbraucht wird. Sofern Globalisierung einem global verstandenen Gemeinwohl dient, kann diese Entwicklung helfen, mehr Gerechtigkeit für die benachteiligten Staaten und Regionen zu ermöglichen. Dabei verdient Beachtung, dass in vielfältigen Bezügen der Respekt vor den legitimen Interessen anderer zugleich der Wahrung legitimer Eigeninteressen dient, ja deren Verwirklichung überhaupt erst ermöglicht. Die Geschichte Europas nach dem Zweiten Weltkrieg – von den Anfängen in der Montanunion bis hin zur engen Zusammenarbeit auf vielen Gebieten im Rahmen der heutigen Europäischen Union – bietet ein eindrückliches Beispiel dafür, wie es gelingen kann, aufeinander zuzugehen und Interessenpartnerschaften zu entwickeln.


2.2 Jeder Schritt zu mehr Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Schutz von Minderheiten, genauso wie wirtschaftliche und soziale Fortschritte und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen sind dringend notwendige präventive Maßnahmen zur Überwindung von Gewalt.

Das Prinzip der Nichteinmischung in innerstaatliche Angelegenheiten dient häufig zur Rechtfertigung von Strukturen, die auf Dauer erhebliche Konfliktpotentiale in sich bergen. Für die Staatengemeinschaft kann es zum Alibi für mangelndes Interesse an den dringend erforderlichen Veränderungen in einzelnen Staaten dienen.


2.3 Das übergreifende Interesse der weltweiten Staatengemeinschaft muss besser organisiert werden, damit im Konfliktfall Einzelinteressen innerhalb oder zwischen einzelnen Staaten leichter überwunden werden können.

Die Instrumente und Zuständigkeiten internationaler Organisationen, insbesondere der UNO und ihres Weltsicherheitsrates müssen weiterentwickelt und den neuen Erfordernissen angepasst werden. Die Handlungsfähigkeit des Generalsekretariates muss erweitert und die Beschlussfähigkeit des Sicherheitsrates in Krisensituationen verbessert werden. Das Vetorecht sollte zumindest modifiziert werden. Dazu bedarf es der politischen Unterstützung und finanziellen Absicherung seitens der Großmächte, insbesondere der USA.


3. Von machtpolitischer Konkurrenz zu einem Konzept kooperativer Sicherheit


3.1 An die Stelle des Konkurrenzkampfes sollte Zusammenarbeit treten.

Die Verantwortlichen in der Politik der Nationalstaaten müssen zur Einsicht gelangen, wie stark das Schicksal ihres eigenen Landes in das der Völkergemeinschaft verflochten ist und dass im Augenblick gewonnene Konkurrenzen um Machtanteile langfristig verheerende Folgen zeitigen können. Bewusste Zusammenarbeit mit anderen Staaten, gerade auch mit weniger entwickelten Ländern, führt zu Interessenwahrnehmungen, die einer gemeinsamen Sicherheit dienen.


3.2 Das Recht des Stärkeren muss durch die Stärke des Rechts ersetzt werden.

Das in der Charta der Vereinten Nationen verankerte Gewaltverbot, wird nur dann wirklich eingehalten werden, wenn die Normen des internationalen Rechts weiter entwickelt werden. Noch bestehen erhebliche Regelungslücken gerade im Hinblick auf inner- und zwischenstaatliche Konflikte. Der Bruch des geltenden Völkerrechts, sei es bei Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen oder Terrorismus, muss durch internationale Gerichte verfolgt und geahndet werden.


3.3 Starke zivile Komponenten, gemeinsame Beratung, Gegenseitigkeit, Verlässlichkeit, Transparenz und Prävention sind notwendige Elemente kooperativer Sicherheit.

Dem Ansatz liegt die Einsicht zugrunde, dass zahlreiche Akteure an der kooperativen Sicherheit beteiligt werden müssen, gesellschaftliche Gruppen genauso wie relevante Regierungsorganisationen usw. Es bedarf entsprechender Einübung in wirkliche Kooperation. So sollten gerade in Konfliktregionen die zivilgesellschaftlichen Kräfte vor Ort nachhaltig gestärkt werden, um auf diese Weise ein Gegengewicht gegen die vom Krieg profitierenden Gruppen zu schaffen. Durch Anreize zur Kooperation soll Friede tragfähig werden.


4. Von der Gewaltanwendung in vielfältigen Formen zur Minimierung jeglicher Gewalt


4.1 Gewaltanwendung ist die schwerste Form, die Würde und Integrität der menschlichen Person anzutasten.

Eine Auseinandersetzung mit der Gewaltprägung unserer Wirklichkeit, die eigene Gewaltneigung eingeschlossen, ist dringend erforderlich. Jüdisch-christliche Traditionen weisen ein kontinuierliches Bemühen auf, Gewaltanwendung mehr und mehr einzudämmen. Begriffe wie Rache oder Vergeltung missachten den Menschen als Geschöpf Gottes.


4.2 Gewalt wirkt auf ökonomischer, politischer, kultureller, sozialer und mentaler Ebene.

So wie sich Gewalt in vielfältigen Lebensbereichen und unterschiedlichsten Formen etabliert, müssen zur Überwindung von Gewalt Maßnahmen in der ganzen Breite der Bereiche versucht werden.


4.3 Verhältnisse fortdauernder Ungerechtigkeit sind in sich gewaltgeladen und gewaltträchtig.

Eine Welt, in der vielen Menschen fundamentale Rechte und ein menschenwürdiges Leben verweigert werden, provoziert zu unterschiedlichsten Formen der Gewalt, selbst wenn es keinen Krieg gibt.


4.4 Es ist stets mit ungerechten Situationen zu rechnen, in denen gewaltfreies Handeln unmöglich erscheint.

Die Ausweglosigkeit bestimmter Situationen verleitet einzelne Menschen, wie Gruppen, Völker und Staaten dazu, ihr Heil in der Gewaltanwendung zu suchen. Die Völkergemeinschaft muss alles nur Denkbare versuchen, ausweglos erscheinende Situationen zu überwinden und den Ausbruch von Gewalt zu verhindern. Es ist in solchen Situationen zu prüfen, in wieweit durch gezielte Sanktionen gegen die Verursacher des Unrechts, zur Gewaltminimierung beigetragen werden kann.


4.5 Gewalt entfaltet immer eine schwer kontrollierbare Eigendynamik.

Erfahrungsgemäß fordert jeder noch so begrenzte Gewalteinsatz Menschenleben, vor allem unter der Zivilbevölkerung. Darüber hinaus ist es typisch für jede Art von Gewaltanwendung, dass sie Gegengewalt hervorruft und diese im Regelfall stärker ist als die erlittene Gewalt. Die Spirale der Gewalt führt zur Eskalation. Gewalt erzeugt immer mehr Gewalt. Diese Eigendynamik kann nur durch jene unterbrochen werden, die Gewalt mit politischen und rechtlichen Mitteln zu überwinden und zu vermeiden suchen. Christen sollten selbst in scheinbar ausweglosen Unrechtssituationen Alternativen zu gewaltsamen Reaktionen und Krieg vorleben und einfordern. Dennoch werden Schuldkonflikte nicht zu vermeiden sein.


5. Von nationalstaatlicher Interessenverfolgung mit Gewalt zum universalen Gewaltmonopol der UNO


5.1 Zunehmend verschwimmen die Grenzen zwischen Krieg und organisiertem Verbrechen, Terrorismus und massiven Menschenrechtsverletzungen.

Diese Entwicklung macht hilflos und betroffen. Auch hier muss das Schwergewicht auf der Bekämpfung der Ursachen liegen. Gewaltmaßnahmen durch Staaten und Militärbündnisse sind vom Terrorismusvorwurf nicht ausgenommen. Die Rolle der Geheimdienste muss überprüft werden. Präventives politisches Handeln muss darauf abzielen, den Einsatz militärischer Mittel zu vermeiden.


5.2 UN-Einsätze sind nicht auf den Sieg einer Konfliktpartei auszurichten, sondern müssen einem gerechten Frieden dienen.

Jede Anwendung von Gewalt soll soweit wie möglich minimiert werden. Ziel ist die Wiederherstellung der Basis für einen Verhandlungsprozess, der zum Frieden führt. Der Verzicht auf Sieg oder Vernichtung des Gegners bedeutet, von Kampfeinsätzen traditioneller Kriegführung weitgehend Abschied zu nehmen, und verlangt beträchtliche mentale Umstellungen sowohl bei Kommandeuren wie Soldaten.


5.3 Bewaffnete Interventionen müssen den Regeln des internationalen Rechts unterworfen bleiben.

Die Handlungsfähigkeit der UNO muss auch in schweren Krisen sichergestellt werden. Regionale Organisationen und Bündnisse, zum Beispiel die NATO, bedürfen der Autorisierung durch die internationale Staatengemeinschaft. Die Herstellung von, die Bedrohung mit und der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln sind zu verbieten. Abrüstungsverträge dürfen nicht einseitig aufgekündigt werden.


6. Von der Minimierung zur Überwindung von Gewalt


6.1 Gewaltvorbeugung und Menschenrechtsschutz gehören auf das Engste zusammen.

Die Anwendung von Gewalt tendiert dahin, gerade jene Grundlagen zu zerstören, auf denen ein menschenwürdiges Zusammenleben beruht. Umso wichtiger ist es, für die grundrechtliche Sicherung der Persönlichkeitsrechte, der politischen und sozialen Teilhabemöglichkeiten aller gesellschaftlichen Gruppen Sorge zu tragen. Jedes Bemühen, andere vor Demütigung, Antastung ihrer menschlichen Würde und seelischen Verwundungen zu schützen, verhindert mögliche Gegengewalt. Der oft gebrachte Hinweis auf kulturelle Unterschiede erweist sich in vielen Fällen als haltlos, sobald die Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu Wort kommen.


6.2 Gewaltprävention ist vordringliche Aufgabe in Erziehung, Bildung und Medienarbeit.

Es gibt eine systematische Gewöhnung an Gewalt. Wer zählt die Opfer von Gewalt an einem einzigen Fernsehabend? Die Faszination von Gewalt muss aufgebrochen werden. Über alternative Möglichkeiten, der Gewalt zu begegnen, ist umfassend zu informieren und durch entsprechende Programme in sie einzuüben, damit sie situationsgerecht angewendet werden können. Diese Konzepte sind kreativ weiterzuentwickeln. Dazu gehört nicht zuletzt eine angemessene finanzielle Förderung. Ziel ist eine grundlegend neue Einstellung zum Umgang mit Gewalt. Die Achtung vor dem Leben, vor der menschlichen Würde muss vorgelebt und eingeübt werden, damit die Bereitschaft zur Gewaltanwendung überwunden werden kann. Die Programme kirchlicher Bildungseinrichtungen und theologischer Fakultäten sollten daraufhin untersucht werden, ob sie diesem Thema hinreichende Aufmerksamkeit widmen.


6.3 Gewaltprävention bedarf einer grenzübergreifenden Reduzierung und Kontrolle der Rüstungsproduktion und –forschung wie auch der Beschränkung des Waffenhandels.

Rüstungsproduktion und –forschung bergen die Gefahr immer neuer globaler und regionaler Rüstungswettläufe in sich. Die ökonomischen Triebfedern des Waffenhandels führen zur Überrüstung vieler Regionen. Dabei werden wertvolle Ressourcen gebunden, die in zivilen Bereichen dringend benötigt würden.

Die leichte Beschaffbarkeit von Waffen, besonders von Kleinwaffen, macht es Einzelnen wie Gruppen leicht, private Kriege zu führen und terroristische Aktionen durchzuführen. Gerade in unterentwickelten Regionen können sich regelrechte "Kriegssysteme" mit verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die dortige Bevölkerung herausbilden.


6.4 Die Begleitung von Abrüstungsmaßnahmen durch Konversionsprojekte ist ein wichtiger Schlüssel für die breite politische Unterstützung solcher Schritte.

Schritte der Abrüstung und Truppenreduzierung führen häufig zu negativen ökonomischen Folgen für die betroffenen Standorte. Damit solche Schritte nicht auf Proteste, sondern auf Zustimmung stoßen, ist staatliche Unterstützung unabdingbar, um nachfolgend die Konversion der Produktionsanlagen, Kasernen und sonstigen Militäreinrichtungen zur zivilen Nutzung voranzutreiben und neue Arbeitsplätze zu schaffen.


6.5 Die Dekade zur Überwindung von Gewalt, die der Weltkirchenrat für die Jahre 2001 bis 2010 ausgerufen hat, aktualisiert den Konziliaren Prozess und setzt ihn fort.

Die Dekade eröffnet die Chance, dass die Kirche mit ihren Gemeinden deutlicher als vorher als Ort der Gewaltüberwindung wahrgenommen wird. Angesichts der zentralen Aufgaben der Gewaltprävention wird der Zusammenhang der Bedrohungen von Gerechtigkeit, Frieden und der Bewahrung der Schöpfung in besonderer Weise sichtbar.


7. Vom Beschweigen von Schuld zur Nachsorge bei Konflikten


7.1 Unversöhnte Situationen sind der Nährboden für neue Gewaltausbrüche.

In unbewältigter Vergangenheit liegt fast immer der Keim künftiger Gewaltanwendung. Wo nichts gegen die Unversöhntheit gemeinsamer Geschichte getan wird, wird eine Chance zur Gewaltvorbeugung vertan.


7.2 Dauerhafte Folge von Gewalt ist eine individuelle oder gesellschaftliche Traumatisierung.

Traumatisierte Menschen brauchen Hilfe und Beratung. Gerade kollektive Traumatisierungen können den Wurzelgrund für das Entstehen neuer Gewaltverhältnisse bilden.


7.3 Die Auseinandersetzung mit Schuld und Gewalt kann an der praktischen Solidarität mit den Opfern und am Bemühen um Gerechtigkeit gegenüber den Tätern gemessen werden.

Traumatisierte Menschen brauchen zahlreiche Hilfen, um ihre Lebenssituationen zu meistern. Nur wer zupackt und hilft, tut etwas gegen Gewalt.


7.4 Was Opfer von Unrecht und Gewalt erlitten haben, muss zur Sprache gebracht werden.

Gerade das ganz persönliche Engagement von Einzelnen und zivilgesellschaftlichen Gruppen, die bereit sind, die Opfer zu Wort kommen zu lassen und so ihr Leid ein Stück weit mitzutragen, kann hier hilfreich sein.


7.5 Auch die Ursachen dafür, dass Menschen an Unrecht und Gewalt mitschuldig wurden, müssen bearbeitet werden.

Eine persönliche Begleitung Verstrickter bei ihrer Auseinandersetzung mit der Verantwortung für Unrecht und Leid, welches sie anderen zufügten, kann große Bedeutung dafür haben, dass sie fähig werden, das Geschehene zu betrauern und darüber Reue zu empfinden.


7.6 Konfliktsituationen sind mit dem Auge des Konfliktgegners zu betrachten.

Einseitige Schuldzuweisungen lassen sich nur relativieren, wenn die Beteiligten lernen, die unversöhnte Situation aus dem Blickwinkel des Konfliktgegners zu betrachten. Wir müssen dabei auch kritisch nach der eigenen Mitverantwortung und der Mitschuld an der Entstehung und dem Verlauf der Gewalteskalation fragen.


7.7 Ausgleich und Verständigung sind Schritte auf dem Weg zur Versöhnung.

Der Weg zur Versöhnung ist weit. Es ist schon viel erreicht, wenn Formen der Verständigung, des miteinander Sprechens, gefunden werden. Dabei ist es unerlässlich, dass Schuldige sich der Frage nach ihrer Verantwortung stellen.


7.8 Die Kirchen müssen nach ihrer eigenen Verstrickung in Schuldzusammenhänge fragen, weil sich dadurch neue Wege zu Versöhnung und praktischem Friedenshandeln eröffnen.

Die Kirchen müssen erkennen, dass sie durch Legitimierung von Gewalt, Duldung von Rassismus und Unterordnung unter autoritäre oder militaristische Regierungen mitschuldig wurden. Mutmachen und Unterstützung von Zivilcourage sowie Widerstand gegen Unrecht und falschen Obrigkeitsgehorsam sind Kennzeichen veränderter Einstellungen.


8. Von einer der militärischen Logik untergeordneten religiösen Betreuung von Soldaten zur friedensfördernden Seelsorge


8.1 Die vollständige Unabhängigkeit von Verkündigung und Seelsorge von politischen Vorgaben ist bei jeder institutionellen Regelung unbedingt zu gewährleisten.

Die Friedensbotschaft des Evangeliums, die Bereitschaft zum Gewaltverzicht und die Liebe zum Feind muss unverkürzt den Soldaten verkündet werden.


8.2 In die Seelsorge an Soldaten sind Seelsorger zu berufen, denen die Minimierung von Gewalt und der Vorrang von Prävention ein persönliches Anliegen ist.

Die friedensethischen Forderungen der Kirchen müssen von den Seelsorgern vorgelebt und den Soldaten nahegebracht werden.


8.3 Es muss Gewissensbildung für einen zeitgemäßen militärischen Gehorsam erfolgen.

Dazu gehören das Wissen darum, welchen ethischen und rechtlichen Grenzen Befehl und Gehorsam unterliegen, und die Möglichkeit, die Konsequenzen des geforderten Gehorsams daraufhin einschätzen zu können, ob diese Grenzziehungen respektiert werden. Da das geltende humanitäre Völkerrecht die Opfer bewaffneter Konflikte noch nicht hinreichend zu schützen vermag, sind auch künftig Fälle denkbar, in denen ein Soldat aus Gewissensgründen einen Befehl nicht befolgen kann. Er muss dann die Möglichkeit haben, seine Gewissensgründe darzulegen, und er muss von der Gehorsamspflicht entbunden werden können. Diese Fragen gewinnen angesichts einer wachsenden Zahl von militärischen Einsätzen zunehmend an Bedeutung, zumal dabei häufig Angehörige verschiedener Armeen zusammenwirken, die von deutlich unterschiedlichen militärischen Selbstverständnissen geprägt sind.


8.4 Bei Neuregelungen der Seelsorge an Soldaten ist diese geforderte Gewissensbildung zu verankern.

Im Lebenskundlichen Unterricht wie in der Einzelseelsorge müssen Soldaten - gerade im Zusammenhang mit Problemen der Gewissensverantwortung, vor die sie ihr Dienst stellt - in ihrem Seelsorger einen Ansprechpartner finden können, dem sie sich anvertrauen können. Die Kirchen, ihre leitenden Personen und Gremien und die Kirchgemeinden müssen dafür Sorge tragen, dass die Identität kirchlicher Friedensethik gerade im sensiblen Bereich der Seelsorge an Soldaten gewahrt bleibt.


9. Aufgabenfelder für Politik, Kirchen und Kirchgemeinden


9.1 Die Bundesregierung soll sich um den Auf- und Ausbau deutscher, europäischer und europaübergreifender Vermittlungs- und Brückenfunktionen bemühen, insbesondere um die Errichtung und Unterstützung regionaler Sicherheitsstrukturen und darum, dass verstärkt Instrumente der zivilen Konfliktbearbeitung in eskalationsträchtigen Regionalkonflikten bereit gestellt werden.


9.2 Die Bundesregierung soll sich dafür einsetzen, dass der UN und regionalen Organisationen, wie zum Beispiel der OSZE, ausreichendes Personal für zivile Konfliktbearbeitung zur Verfügung steht.


9.3 Die Bundesregierung soll sich dafür einsetzen, dass im Rahmen der UN (analog Artikel 43 der Charta der Vereinten Nationen) und regionaler Organisationen wie der OSZE Polizeieinheiten gebildet werden, welche in Situationen des Staatszerfalls und bei der Nachsorge von Konflikten zum Aufbau einer öffentlichen Ordnung eingesetzt werden können, die den Schutz grundlegender Menschenrechte garantiert.


9.4 Die Rüstungskontrolle und eine weitere Rüstungsreduzierung sind durch die Bundesregierung zu verstärken. Sie wird aufgefordert, sich für das Verbot aller Massenvernichtungsmittel einzusetzen.


9.5 Für die Waffenproduktion und den Waffenexport, wie auch für den Besitz von Waffen, sind durch die Bundesregierung entsprechende gesetzliche Regelungen im Rahmen der Europäischen Union weiter einzuschränken.


9.6 Der Ausbau und die finanzielle Absicherung von zivilen Friedensfachdiensten und von freiwilligen Diensten für Jugendliche ist von der Bundesregierung und den Kirchen verstärkt zu fördern.


9.7 Der Einsatz in Friedensfachdiensten ist als Friedensdienst anzuerkennen und durch Bundesgesetz versorgungsrechtlich abzusichern.


9.8 Die Träger der politischen wie kirchlichen Bildungsarbeit sollen einem übernational verstandenen Gemeinwohl verstärkt Beachtung schenken.


9.9 In ihren Äußerungen zu Konfliktsituationen sollen die Kirchen und ihre Vertreter alle Aussagen vermeiden, die Gewaltanwendung legitimieren können.


9.10 Kirchenleitende Personen und Gremien sollen die ökumenischen Kontakte nutzen und ausweiten, um zur Prävention und gewaltlosen Konfliktbewältigung in Krisengebieten beizutragen.


9.11 Die Kirchen werden aufgefordert, verstärkt Beiträge zu einer zivilen Konfliktbearbeitung zu leisten.


9.12 Die Kirchenleitungen sollen Stipendien für die Ausbildung von Konfliktbearbeitern und Mediatoren gewähren und zivile Konfliktbearbeitung durch deren Einsatz ermöglichen.


9.13 Die ethische Fragwürdigkeit von Waffenproduktion, Waffenhandel und der verbrecherische Gebrauch von Waffen ist durch die Kirchen verstärkt ins öffentliche Bewusstsein zu rufen.


9.14 Die Kirchenleitungen sollen sich beim Gesetzgeber für die Möglichkeit einsetzen, Steueranteile, die der Finanzierung militärischer Aufgaben dienen, aus Gewissensgründen für Friedensdienste und Entwicklungshilfe umzuwidmen.


9.15 Die Kirchenleitungen sollen Patenschaften für sowie Partnerschaften mit Gemeinden, auch anderer Konfessionen und Religionen, in Krisengebieten auf- und ausbauen.


9.16 Die Kirchenleitungen sollen alle ihre Möglichkeiten ausschöpfen, "fairen Handel" zu fördern, und bei ihren Einrichtungen auf die Abnahme von entsprechenden Produkten hinwirken.


9.17 Die Kirchenleitungen sollen sich für die Sicherung eines wertorientierten Unterrichtes, zum Beispiel Religions- und Ethikunterricht, an den Schulen zur Vermittlung friedensethischer Normen einsetzen.


9.18 Die Kirchgemeinden sollen in der Dekade zur Überwindung von Gewalt besonders solche Veranstaltungen fördern, durch die sichtbar wird, dass die Gemeinden selbst Prozesse der Gewaltüberwindung aktiv mittragen.


9.19 Die Kirchgemeinden sollen sich den Opfern von Gewalt besonders zuwenden, ihnen solidarische Hilfe leisten und mit ihnen nach Wegen suchen, wie sie mit ihren traumatischen Erfahrungen zu leben vermögen.


9.20 Die Kirchgemeinden müssen sich auch der Täter annehmen, sie vor Vorverurteilungen schützen und zu ihrer Resozialisierung beitragen.


9.21 Die Kirchgemeinden sollen Raum geben für Gruppen, die zur Überwindung von Gewalt beitragen.


10. Verpflichtungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Ökumenischen Versammlung


10.1 Wir verpflichten uns, aktiv für eine Überwindung von Gewalt einzutreten.


10.2 Wir verpflichten uns insbesondere, gegen Feindbilder, Gewaltverherrlichung, Gewaltanwendung – zumal gegen Schwächere – und bei Demonstrationen einzutreten.


10.3 Wir verpflichten uns, wachsamer und kritischer gegenüber Politikern und Medien zu sein, wenn es um Krisensituationen und bewaffnete Interventionen und ihre Begründungen geht, und Falschdarstellungen entgegen zu treten.


Wir erinnern an die vorrangigen Optionen und die Verpflichtungen der bisherigen Ökumenischen Versammlungen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.

Wir laden alle Christinnen und Christen und alle Menschen guten Willens ein, sich unseren Verpflichtungen anzuschließen