Die Arbeitsgruppe "Gerechtigkeit heute" wird von Hans-Jürgen Fischbeck <fischbeck@kommunitaet-grimnitz.de> geleitet. Sie umfasst ca. 10 aktive Mitglieder. Es finden jährlich jeweils mehrere Arbeitstreffen statt. Die AG hat den folgenden Entwurf für ein Arbeitspapier erstellt. An dem Papier wird weiter gearbeitet. |
Arbeitstext der Arbeitsgruppe |
Entwurf von Thesen der AG Gerechtigkeit der Basisgruppen im Konziliaren Prozeß
Die Frage nach Gerechtigkeit berührt das Innerste im Menschen
Kern auch des jüdisch-christlichen Glaubens ist: Gerechtgemachte (und alle Menschen sind recht gemacht) sorgen sich um die Gerechtigkeit. Sie ist in dieser Weltzeit kein Zustand, sondern ein behutsamer Prozeß, der wie bei einer Waage (zwischen Gabe und Aufgabe, zwischen Vorleistung und eigener Anstrengung) dauernd neu ausbalanciert werden muß.
Was im Ersten Testament immer wieder erinnert wurde, geschah in der Verkündigung Jesu auch im Zweiten. Was im ersten und zweiten Jahrtausend unserer Zeitrechnung gegen alle, die eine vorläufige Ordnung in Gerechtigkeit und Frieden stifteten und sie dann als ewige in Ungerechtigkeit verteidigen wollten, bezeugt werden mußte, gilt auch heute.
Der Konziliare Prozeß ist seit Beginn nach dem Chaos des Ersten Weltkrieges und angesichts der gewollten Katastrophe im Faschismus bewegt von der Einsicht, daß die Kirchen dieses innige und damit religiöse Verlangen nach Gerechtigkeit nicht länger nur dem entsagungsvollen Kampf der Einzelnen überlassen dürfen. Die Kirchen als Kirchen begreifen sich zunehmend als Akteure im Bemühen um Gerechtigkeit, nicht als ihre vorletzte Aufgabe, sondern als Ihre Hauptaufgabe, weil sie von der Frömmigkeit nicht zu trennen ist. Sie ist Teil des wahren Gottesdienstes.
Beim Abschluß des Konziliaren Prozesses der 80er Jahre in Dresden formulierte die Versammlung: "Der Bundesgedanke ist in der Bibel eng mit Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfungsbewahrung verknüpft. Der Bund Gottes mit dem Volk Israel gründet in Gottes rettender Gerechtigkeit und verpflichtet das Volk zur Solidargerechtigkeit gegenüber den Schwachen (Jes. 54,10 u.a.). Die Kirche sei, indem sie sich für Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfungsbewahrung einsetze, 'bei ihrer eigentlichen Sache' " (S. 48f.).
Diese unsere Sache wollen wir in folgenden Punkten angesichts neuer, dramatischer Unausgewogenheiten bedenken.
1. Zeichen der Zeit
2. Verweigerung des Mammon-Dienstes: Schritte auf dem konziliaren Weg in der Nachfolge Jesu
3. Einmischung der Kirchen, Christen und kirchlichen Gemeinschaften in die aktuelle Politik:
Das Leben achten, Demokratie stärken, Frieden durch Gerechtigkeit schaffen.
1. Zeichen der Zeit
1.1. Allgemeine Tendenzen
Die gegenwärtige Situation ist - wie uns gewichtige Stimmen sagen - gekennzeichnet durch eine nationale und globale gesellschaftlichen Entwicklung, die zu einer "Verabsolutierung des Marktes" führt, ja, daß sich dieser "zum Herrscher über unsere Gesellschaft aufschwingt". Das bedeutet u.a., daß das "Ende des Politischen" absehbar ist, denn "Politik löst sich auf in Technologie und Ökonomie. Der Sozialstaat, diese letzte Bastion politischer Ideologie, ist nicht mehr finanzierbar."
Diese Prognose ernst zu nehmen heißt nicht, sie als unabänderlich hinzunehmen. Es muß darum gerungen werden, daß sie nicht eintritt.
1. Mit der "Verabsolutierung des Marktes" ist ein Vordringen marktförmiger, also geldvermittelter Austauschbeziehungen in nahezu alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gemeint. Die vielfältig zu beobachtende Individualisierung und Entsolidarisierung der Gesellschaft führt zur Umwandlung menschlicher Beziehungen in Dienstleistungen und damit in Kauf- bzw. Verkaufsbeziehungen. Damit geht die Auflösung so ziemlich aller Formen von Selbstversorgung (Subsistenz) einher, so daß eine totale Abhängigkeit vom Geld eingetreten ist. Längst schon sind - außer Luft und Sonnenlicht - nahezu alle äußeren Lebensgrundlagen (Grund und Boden, Bodenschätze, Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur, z.B. Sendefrequenzen etc.) privatisiert bzw. privat lizenziert worden. Gegenwärtig ist die Privatisierung der Wasserversorgung im Gange. Nun aber greift die Parzellierung und Privatisierung sogar auf das Leben selbst über und macht auch vor menschlichem Leben nicht halt (These 8). So werden nahezu alle Lebensgrundlagen in handelbare Warenform zur Vermehrung des geldwerten Eigentums privater Besitzer überführt.
Die Privatisierung staatlicher Aufgaben wird forciert. Gegenwärtig steht die höhere Bildung auf dem Programm. Hochschulen sollen sich als Unternehmen verstehen, strukturieren und auf dem Bildungsmarkt anbieten. Studiengebühren sollen eingeführt, kommerzielle Extra-Angebote gemacht und private Sponsoren gesucht werden. Ähnliche Erscheinungen gibt es längst auch im Gesundheitswesen.
Private Sicherheitsdienste übernehmen mehr und mehr polizeiliche Aufgaben. In den USA geht man dazu über, selbst den Strafvollzug zu privatisieren. Staatliche Geheimdienste übernehmen klammheimlich Aufgaben der Wirtschaftsspionage.
Die um sich greifende Vermarktungstendenz wird exemplarisch und besonders deutlich im medizinischen und pflegerischen Bereich der Kranken- und Altenfürsorge. Der gerade in diesen Lebensphasen auf eine personale Begegnung angewiesene Mensch wird kleinteilig und protokollarisch in Abrechnungsvorgänge zerlegt mit der Folge, daß das medizinische und Pflegepersonal eine ganzheitliche Begegnung mit dem bedürftigen Menschen nicht mehr leisten kann.
2. Zugleich vollzieht sich ein schleichender Machtwechsel, der als Verlust des Primats der Politik beschrieben wird. Das "Ende des Politischen" – das wäre das Ende der Demokratie zumindest als der entscheidenden Form der Selbstgestaltung und Selbstbestimmung der Gesellschaft. Eine Vorherrschaft von Technologie und Ökonomie muß als Fremdbestimmung erkannt werden, obwohl sie durch den angeblich demokratischen Markt vermittelt wird.
Hat sich die Ökumenische Versammlung der DDR 1989 gegen die totalitäre Verstaatlichung der Gesellschaft durch das SED-Regime gewandt, so wenden sich die ökumenischen Basisgruppen im Konziliaren Prozeß heute gegen die um sich greifende Vermarktung der Gesellschaft. Sie nimmt ebenfalls totalitäre Züge an. Es ist dies ein "Totalitarismus neuer Art".
3. Der bisher nur für politisch-ideologische Herrschaft gebrauchte Begriff Totalitarismus ist anwendbar, denn er bedeutet wesentlich, daß tendenziell alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens fremdbestimmten Verhältnissen untergeordnet werden, um dadurch Herrschaftsverhältnisse zu etablieren. Diesen Totalitarismus des Marktes nennen wir Mammonismus.
4. Herrschaftsverhältnisse entwickeln sich daraus, weil Geld mehr ist als ein neutrales Austauschmittel, denn es hat einen strukturellen Vorteil gegenüber den Waren, deren Wertäquivalent es eigentlich sein soll: Es altert nicht und kann daher als "Liquidität" zurückgehalten werden, so daß es sich nur gegen einen Aufpreis (Zins, Dividende, Rendite) zur Verfügung stellt. So wird Geld selbstbezüglich und gegen weiteres Geld gewinnbringend vermarktet: Wer viel hat, dem wird leistungslos gegeben proportional zu dem, was er schon hat. Genommen wird dies durch Zins- und Renditeanteile in allen Preisen, Mieten, Steuern und Abgaben von den vielen, die wenig haben. So findet eine automatisierte und verschleierte Umverteilung von Arm zu Reich statt, so daß die Macht insbesondere des Geldeigentums unablässig wächst.
5. Daraus ergibt sich auch das zwanghafte Wirtschaftswachstum, das andererseits unweigerlich an die "Grenzen des Wachstums" stößt. Ein System, dessen zentrale Vermittlungs- und Steuerungsgröße in den Händen weniger exponentiell wächst, kann nicht stabil, d. h. nicht nachhaltig sein.
6. Der wohl wesentlichste Faktor des übermächtig-Werdens des Geldkapitals gegenüber der politisch-institutionellen Macht ist heute die sog. Globalisierung, die zuerst und vor allem eine Globalisierung der Finanzmärkte und der Kapitalallokation ist. Damit kann sich das Kapital der national (bzw. regional: EU) bleibenden politischen Macht entziehen. Die Globalisierung des Finanzkapitals führt somit zur Aufhebung der Gemeinwohlbindung des (Geld-) Eigentums.
7. Vom sonstigen Funktionsverlust staatlich verfaßter Politik bleibt die Aufgabe innerer und äußerer Sicherheit unberührt. Es sind dies polizeiliche, militärische und geheimdienstliche Funktionen, die ganz und gar auch im gemeinsamen Interesse der ökonomischen Macht liegen, demokratischer Partizipation und Kontrolle aber am wenigsten offenstehen.
Sie sollen im weltweiten, von US-Präsident Bush erklärten "Krieg gegen den Terrorismus" erheblich verstärkt und verschärft und auch international unter amerikanischem Kommando ohne klare Rechtsbindung eingesetzt werden, um die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu stabilisieren. Diese aber sind oft ungerecht und ein Nährboden für das, was bekämpft werden soll, nämlich Fundamentalismus und Terrorismus.
Die neue Aufgabe der NATO nach dem Ende des noch vorwiegend politischen Ost-West-Konflikts ist die Stabilisierung der "neuen Weltordnung" der ökonomischen Hegemonie des Westens. Nachdem der NATO ernst zu nehmende militärische Feinde abhanden gekommen waren, wurde sie umfunktioniert. Sie soll nun in quasi-weltpolizeilicher Funktion, aber mit gänzlich unverhältnismäßigen und z.T. ungeeigneten Mitteln, nämlich mit erdrückender hoch-technologischer militärischer Übermacht, die bis zur nuklearen Erstschlagsoption reicht, die WTO-Ordnung garantieren. Auch dies ist letzten Endes eine Indienstnahme staatlicher Macht zum Schutz der globalen Ansprüche des Geldkapitals.
8. Voraussetzung dafür, daß auch biologische Grundlagen des Lebens in handelbares privates Eigentum überführt werden können (These 1), ist die Verdinglichung des biosphärischen Lebens durch eine objektivistisch vereinseitigte Biologie – life science genannt –, die suggeriert, das Leben sei "nichts als" ein physiko-chemisches Phänomen. Sie erschließt und "kartographiert" diese neuen Kontinente des Besitzbaren für die patentrechtliche "Landnahme" im Genpool der Biosphäre. Auf diese Weise wurde aus einer Wissenschaft in großem Umfang ein börsennotiertes Gewerbe.
9. Die Verdinglichung des Lebens macht auch vor dem Menschen nicht halt. Der in der Neurobiologie verbreitete Konsens heißt: Der Mensch sei eben doch "nichts als" eine biochemisch-neuroelektrische Maschine, die zu simulieren das Ziel maßgeblicher Vertreter der "Künstlichen Intelligenz" (KI) und der Robotik ist. In Gestalt embryonaler Stammzellen wurde menschliches Leben unmittelbar zu "biologischem Material" degradiert.
Nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms ist man fieberhaft dabei, die funktionelle Bedeutung der Gen-Daten zu ermitteln, um Gensequenzen patentieren zu können. Zu den Genfunktionen gehören auch ontogenetische Mechanismen, die die Entwicklung künstlicher Uteri voranbringen werden so, wie das auch von der Forschung an embryonalen Stammzellen zu erwarten ist.
Eine Fülle von genetischen und ontogenetischen Angeboten zur Selbstbeeinflussung des Menschen nicht nur therapeutischer, sondern auch eugenischer Art wird auf den Markt kommen. Der Anfang ist gemacht. In den USA kann man bei Gametenbanken Eizellen von Models und Samenzellen von Athleten eigener Wahl kaufen, künstlich befruchten und von Leihmüttern austragen lassen. Das käufliche Kind ist da. Das menschliche Genom wird so einem neuen, marktgetriebenen Selektionsdruck ausgesetzt werden.
1.2. Ideologischer Hintergrund
10. Neoliberalismus und Darwinismus gehen eine ideologische Liaison ein. Wenn also Biotechnologie und "Anthropotechnik" (Sloterdijk) die beherrschenden Technologien der Zukunft sein werden, dann folgt aus der eingangs zitierten These, daß die Demokratie als Selbstgestaltungsprinzip der Gesellschaft abgelöst wird durch den biokapitalistischen Markt, daß dessen "unsichtbare Hand" den Menschen nach seinem Bilde gestaltet. Es ist die Hand und es ist das Bild Mammons.
11. Obwohl es sich um einen ökonomischen und nicht um einen politischen Totalitarismus handelt, stützt sich der Mammonismus auf einen Komplex dreier einander perfekt ergänzender Ideologien:
Es bedarf keiner politischen Zwänge, um diesen Ideologien Geltung zu verschaffen, denn dies tun viel wirksamer die sogenannten Sachzwänge des Marktes, denen – und das ist der harte Kern der Ideologie – quasi naturgesetzliche Geltung zugeschrieben wird.
So verträgt sich diese Ideologie bestens mit der postmodernen Beliebigkeit, die das Geld schließlich als einzigen allgemeinverbindlichen Wert erscheinen läßt. Weil nichts mehr heilig ist, ist alles käuflich, weil alles käuflich ist, ist nichts mehr heilig.
12. Diese Ideologien interessieren den Käufer freilich nicht. Die Werbewirtschaft aber weiß, daß er in einer zunehmend frustrierten Beziehungswirklichkeit unerfüllte Sehnsüchte nach Anerkennung, Geborgenheit und Sinnerfüllung hat, die zwar nicht käuflich zu erwerben sind, von denen man aber den Eindruck erwecken kann, sie seien mit den beworbenen Produkten doch zu haben.
Nach der Entzauberung – Verdinglichung – des eigentlich Wunderbaren, nämlich des Lebens, betreibt man nun die Verzauberung und Fetischisierung der Warenwelt als eine Art Religionsersatz, den man Konsumismus nennen kann. Wenn sonst kein Lebenssinn mehr zu finden ist, soll man ihn finden durch den suchtartigen Erwerb immer neuer "zauberhafter" Produkte: Das ist das Opium für das Volk.
So nimmt der Konsumismus suchtartige Züge an. Drogenartige Abhängigkeit wird erzeugt und entsteht da, wo man glaubt, auf bestimmte, über das Lebensnotwendige hinausgehende Annehmlichkeiten nicht mehr verzichten zu können.
Der Ideologiekomplex aus Objektivismus, Neoliberalismus und Utilitarismus, verbunden mit dem Konsumismus als einer Ersatzreligion, prägen das ideologische Gesicht des Mammonismus. Es ist der mächtigste Materialismus und damit Atheismus, den es je gab.
13. Der globalisierte mammonistische Kapitalismus, in dem die Reichen beständig reicher, die Armen aber ärmer und zahlreicher werden, produziert eine Dreiteilung der Gesellschaft
a) in die Vermögenden,
b) in diejenigen, die auskömmliche Arbeit haben und
c) in die Armen, die beides nicht haben.
Die Dreiteilung der Welt in die wohlhabenden OECD-Länder, die Schwellenländer und die armen Länder des Südens ist deren makroökonomische Form. Dieser Zerfall der (Welt-)Gesellschaft wiederholt sich in territorialer Hinsicht auch auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene in selbstähnlicher Form als eine "fraktale Segregation": Armut und Verelendung finden sich mitten in den Metropolen größten Reichtums.
14. Den drei Schichten der (Welt-)Gesellschaft sind die drei Sektoren der Ökonomie zugeordnet:
(1) Der globalisierte private oder auch erste Sektor wird von den Vermögenden beherrscht. Das primäre Ziel der Wirtschaft in diesem Sektor ist nicht die Versorgung der Bevölkerung, sondern die Mehrung des Eigentums und der darauf beruhenden Macht. Er bedient nur kaufkräftige Nachfrage, die sich hauptsächlich in den Schichten (a) und (b), kaum aber in der Schicht (c) findet.
(2) Der (national bleibende) öffentliche Sektor lebt von Steuern und Abgaben aus dem ersten Sektor, vornehmlich von dessen Beschäftigten. Er dient der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Seine Aufgaben sind neben der öffentlichen Verwaltung das Rechts-, Gesundheits- und Bildungswesen sowie die Förderung von Wissenschaft, Kunst und Kultur. Er beschäftigt Menschen aus der Schicht (b), ist aber durch Verschuldung und Verarmung der öffentlichen Hände zu einem permanenten Stellenabbau gezwungen.
(3) Der informelle dritte Sektor umfaßt Haus- und Familienarbeit, Nachbarschaftshilfe, Schwarzarbeit, graue Märkte sowie als kriminellen Anteil Diebstahl, Hehlerei, Erpressung, Prostitution, Drogenmärkte etc. Die Armen der Schicht (c) sind, soweit Billig-Jobs und Sozialhilfe-Transfer aus dem ersten Sektor nicht ausreichen, zunehmend auf diesen Sektor angewiesen.
2. Verweigerung des Mammondienstes: Schritte auf dem konziliaren Weg in der Nachfolge Jesu
Christen sind in die Nachfolge Jesu gerufen. Dieser Ruf gilt uns als Kirchen, Gemeinden und kirchlichen Gruppen sowie jeder und jedem einzelnen. Wir umreißen zunächst heutige Herausforderungen für die Kirchen und weisen dann auf damit zusammenhängende Schritte hin, die einzelne und Gruppen gehen können. Von grundlegender Bedeutung ist es dabei, die Eigentumsfrage zu enttabuisieren und im Licht der biblischen Botschaft neu zu stellen. Zu bedenken ist, daß die Bibel zwar ein Nutzungsrecht, aber kein unbegrenztes Eigentumsrecht an Grund und Boden kennt (Lev.25,23), denn "die Erde ist des Herrn" (Ps. ...). Vor allem aber ist zu bedenken, daß die Bibel offenbar einen Unterschied macht zwischen Eigentum, das aus eigener Arbeit erwächst, und Eigentum, das aus Eigentum, d.h. aus Leihen gegen Zins und Verpfändung kommt. Für letzteres gibt es keine unbedingte Garantie, sondern es soll um der Gerechtigkeit willen in regelmäßigen Abständen rückverteilt werden (Dt.15, 1-2).
Angesichts des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der weltweit fortschreitenden Verarmung und der exponentiellen Zunahme der Geldvermögen (These 4) muß dieser Unterschied zwischen gerechter und ungerechter Eigentumsbildung wieder neu gemacht werden, kann die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes nicht unterschiedslos für beide Arten des Eigentums gelten.Ein zeitgemäßer Weg, die Entstehung ungerechten Eigentums zu (ver)hindern, wäre die Einführung einer Liquiditätsabgabe, die den Gelumlauf sichert, das Zinsniveau und andere Renditeansprüche sinken läßt, den Wachstumszwang beseitigt und so das weitere Auseinanderdriften von Arm und Reich bremst (Thesen 4 und 5).
2.1 Herausforderungen für die Kirchen
15. Je mehr die Unterordnung der Politik unter die Zwänge des globalisierten Marktes voranschreitet und der Mammonismus damit totalitäre Züge annimmt, um so unausweichlicher steht die Kirche Jesu Christi vor der durch Jesus selbst gestellten Bekenntnisfrage:
"Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon" (Mt. 6,24).
Diese Frage wird zur Existenzfrage, denn nur eine Kirche, die den Mammondienst verweigert und Lebensalternativen zur totalitär werdenden Marktgesellschaft anbietet, wird Bestand haben. Die volkskirchlich verfaßten Kirchen in Deutschland – die katholische wie die evangelische – gehören dem öffentlichen Sektor (These 14) an und leiden unter dessen Schwunderscheinungen (Kirchensteuerrückgang, Akzeptanzverlust von Großorganisationen, Schwund des traditionsgebundenen Mittelstands als der sozialen Basis der Kirche).
16. Es gibt Bestrebungen (wie z.B. das München-Projekt in der Bayerischen Ev. Kirche), den Ausweg aus dieser Situation durch "Modernisierung" zu suchen, indem man sich mehr dem ersten Sektor der Ökonomie (These 14) öffnet und an die individualistische "Neue Mitte" wendet. Kirchen und Gemeinden sollten sich demnach als "Unternehmen", nämlich als Anbieter auf dem "Markt für Sinnstiftung und Krisenbewältigung", verstehen und sich dabei nach Ratschlägen von Unternehmensberatern richten und Marketing-Methoden anwenden.
Dies hieße, den Mammonismus als nun einmal gegebene Existenzbedingung der Kirche hinzunehmen und sich ihm anzupassen, anstatt Zeichen der Verweigerung des Mammondienstes zu setzen.
17. Auf lange Sicht aber hat die Kirche keine Zukunft, wenn sie sich nicht bereit findet, Alternativen zur mammonistischen Marktgesellschaft zu entwickeln. Aber schon in ihrer heutigen öffentlich-rechtlichen Gestalt können die Kirchen in konziliarer Vereinbarung Zeichen gegen den Mammonismus setzen:
18. Wegen des genuin christlichen Zeugnisses der Diakonie am ganzen Menschen müssen sich die Kirchen vorrangig solchen Bereichen zuwenden, die offenkundig von der heutigen Gesellschaft vernachlässigt werden, wie etwa Hospize, Alten- und Pflegeheime bis hin zu Obdachlosenkommunitäten. Dies ist wichtiger als die Trägerschaft säkularisierter und kommerzialisierter Einrichtungen der Krankenfürsorge.
19. Nicht die "Neue Mitte" ist die eigentliche Zielgruppe der Kirche, sondern die Verlierer des Modernisierungsprozesses. Mit Diakonie und Caritas allein ist es nicht mehr getan. Die Situation des "Großen Abendmahls" (Luk. 14, 16-24) ist eingetreten. Es ist eine historische Chance und epochale Aufgabe der Kirche, sich der sozialen Gestaltung des Dritten Sektors der Ökonomie (These 14) zu widmen. Neue Lebens-, Wirtschafts-, Arbeits- und Gemeinschaftsformen jenseits des globalisierten Marktes müssen entwickelt werden, um der "Diktatur des Geldes" und dem Zwang zum Konsumismus zu entgehen.
Es geht nun darum, daß diejenigen, die dem Konsumismus absagen und den Mammondienst verweigern wollen, sich in ökonomischer Selbsthilfe verbinden und verbünden können mit denen, die aus dem Ersten Sektor ausgegrenzt oder in menschenunwürdigen Billigjobs versklavt werden, um mit ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen "jenseits der Globalisierung" im gegenseitigen Austausch von Leistungen und Gegenleistungen wieder Strukturen lokaler Gemeinwesenökonomie wachsen zu lassen und so den Dritten Sektor der Ökonomie (siehe These 14) sozial zu gestalten, anstatt ihn zunehmender Kriminalisierung preiszugeben. Ansätze und Beispiele dafür gibt es genug – leider mehr außerhalb als innerhalb der Kirche. Es sind dies neue Weisen gemeinschaftlicher Eigenarbeit in Kommunitäten mit sozialen und ökologischen Intentionen, neue Typen von "sozialen Unternehmen" auf genossenschaftlicher Basis und neue Formen marktförmigen Austauschs von Leistungen und Waren jenseits der globalen Marktkonkurrenz. Der nächste und entscheidende Schritt wäre dann die Einführung regionaler Zweitwährungen zur Inzegration dieser Ansätze zu einer neuen, strukturell nachhaltigen Gemeinwesenökonomie unterhalb der herrschenden, nicht nachhaltigen Ökonomie des ersten Sektors. In diesen Währungen wäre leistungslose Selbstbereicherung (These 14) nicht mehr möglich, wohl aber die gerechte Neubildung von Eigentum als Ertrag eigener Arbeit.
Auch aus ökologischen Gründen ist es lebensnotwendig, ökonomische Strukturen entstehen zu lassen, in denen der Wachstumszwang gebrochen und nachhaltig gewirtschaftet werden kann, indem wenigstens beispielhaft Stoff-, Energie-, Waren- und Geldkreisläufe wieder soweit als möglich regional geschlossen werden können und unnötiger Verkehr vermieden wird.
Soziale Innovationen dieser Art bedürfen gemeindlicher Teilnahme und energischer kirchlicher Fürsprache auf politischer Ebene. Eine besondere Chance dafür bietet der Agenda-Prozeß zur Entwicklung lokaler Agenden 21.
2.2 Schritte für Christen und kirchliche Gemeinschaften
Diese Herausforderungen für die Kirchen sind zuallererst Anregungen für einzelne Christen und kirchliche Gemeinschaften. Die Empfehlung zur Beteiligung an den vielfältigen Initiativen und Aktionen für Frieden, Abrüstung und Versöhnung, zur Solidarität mit den armen Völkern des Südens und zur Bewahrung der Schöpfung versteht sich von selbst und braucht an dieser Stelle nur bekräftigt zu werden. Die folgenden Anregungen gelten besonders der Absage an den Konsumismus und der Verweigerung des Mammon-Dienstes.
20. Das Sabbat- oder Sonntagsgebot darf nicht zuerst als kirchliche Sozialisationsmaßnahme begriffen und gestaltet werden, sondern als Aufforderung zu einem menschengemäßen Leben, denn der Mensch braucht die Unterbrechung seines ihn selbst und die Umwelt verbrauchenden Aktivismus, um die Übersicht über das Sinnvolle zu behalten. Der Sabbat ist eine Institution der Freiheit des Menschen von den Zwängen der Ökonomie. Sabbat-Leitlinie ist: Nicht die maximale Produktivität, sondern das Optimum für das Leben soll erreicht werden: Nicht alles herausholen wollen. Schützt die Ertragskraft der Schöpfung vor der Erschöpfung, befreit euch von den Zwängen des Geldes.
21. Die Verweigerung des Mammondienstes fängt schon bei der Alters- und Krankenversicherung an. Die gesetzlichen Kranken- und Rentenkassen beruhen auf dem solidarischen Umlageverfahren, die privaten Versicherungsgesellschaften und Investmentfonds hingegen gehören zu den mächtigsten und aggressivsten Anlegern und Spekulanten auf den Kapitalmärkten. Sofern und soweit also private Vorsorge erforderlich ist, raten wir zu "ethischem Investment" in soziale und ökologische Projekte, zu genossenschaftlicher Vorsorge oder auch zu persönlichem Wohneigentum als Altersvorsorge.
Besonders aber empfehlen wir Generationenverträge etwa auf gemeindlicher Basis: Junge Gemeindeglieder helfen alten und erwerben damit Anspruch auf entsprechende Hilfe, wenn sie selbst alt sind. Dies könnte u.U. auch der Unterstützung von Hospiz-Einrichtungen zur Sterbebegleitung dienen.
22. Wir raten zur Beteiligung an Tauschringen, besonders aber zur Gründung von Tauschringen auf gemeindlicher Basis nach dem Muster des Projekts "Talentgemeinschaft".
23. Wir rufen auf zur Beteiligung an der Konsum-Befreiungsbewegung "Anders besser leben" und der Bewegung "7 Wochen ohne ...".
24. Gleichfalls empfehlen wir die Bildung oder Unterstützung von kommunitären Gemeinschaften. Dafür gibt es schon zahlreiche und recht verschiedene Vorbilder. Besonders aber weisen wir auf das Modell der "Integrierten Gemeinden" und der Basisgemeinden hin. (ergänzt von Wolfgang Kowallick)
25. Die aktive Beteiligung am Lokalen Agenda-Prozeß stärkt die Bürgerdemokratie. Durch eine unmittelbare Teilhabe an politischen Prozessen und Entscheidungen wird das Modell der repräsentativen Demokratie und des Parteienstaates wesentlich erweitert und dem mammonistischen Machtwechsel (These 1) entgegengewirkt. Durch ihre aktive Mitarbeit können Christen spirituelle Energien in den Agenda-Prozeß einbringen und damit um einen wesentlichen Akzent bereichern.
Das Leben achten, Demokratie stärken, Frieden durch Gerechtigkeit schaffen
3.11 Nord-Süd-Gerechtigkeit
3.12 Geschlechtergerechtigkeit
3.13 Steuergerechtigkeit
31. Um der fortwährenden Externalisierung ökologischer Folgekosten zu wehren und dem Vorsorgeprinzip Geltung zu verschaffen, sollten sich die Kirchen und kirchliche Gruppen für ein Veränderung und Verschärfung des Haftungsrechts einsetzen. Fordern und unterstützen sollten sie auch die schrittweise Verlagerung der Steuerlast weg vonder Arbeit hin zur Inanspeuchnahme natürlicher Ressourcen. Energie- und Rohstoffverbrauch, Wassernutzung und Luftbelastung, Lärm, Gesundheitsbelastung und Verkehr sind zu besteuern, anstatt das Füreinander arbeiten steuerlich zu hemmen. Zu einem human-ökologischen Steuersystem gehören auch Bodennutzungsentgelte, um die uns geschenkte Erde privater Spekulation und Selbsbereicherung zu entziehen.
32. ?
33. In Fortschreibung des "Gemeinsamen Wortes zur wirtschaftlichen und sozialen Lage" werden sich die Kirchen, kirchlichen Gruppen und Verbände mit aller Kraft für den Erhalt des Sozialstaates in reformierter Form einsetzen, damit die Prognose von dessen Ende nicht eintritt. Dies ist auch deshalb von großer Bedeutung, weil eine ausreichende soziale Grundsicherung durch Transfer aus dem Ersten Sektor auch Vorbedingung dafür ist, daß eine soziale Gestaltung des Dritten Sektors überhaupt gelingen und zum Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen kann, denn lokale Gemeinwesen-Ökonomien und darin erzielte Einkommen können zwar zur Grundversorgung beitragen, aber natürlich längst nicht alles liefern, was zum Lebensunterhalt erforderlich ist.
Zum Erhalt des auf Solidarität gründenden Sozailsystems wurden in Politik und Wirtschaft verschiedenen Vorschläge gemacht, die in den Kirchen gewissenhaft geprüft werden müssen. Dazu gehören u.a.
Der letzte Vorschlag verdient besonderes Interesse, weil er verhindert, daß die Vernichtung von Arbeitsplätzen durch Automatisierung belohnt wird durch den Wegfall von Solidarleistungen. Sie gehen dem Sozialsystem gleich doppelt verloren, weil mit der Entlassung des Arbeitnehmers sowohl der Arbeitgeber- als auch der Arbeitnehmeranteil wegfallen, während das Sozialsystem obendrein zusätzlich durch Arbeitslosengeld belastet wird.
3.14 Verteilung der Arbeit
(Ulrich Schmidthenner, www.ecunet.de)
3.2 Politische Regulierung und Kontrolle der Märkte
(Ordnen nach Handel,Dienstleistungen, Finanzen, Investitionen)
34. Damit die Sozialstaatlichkeit in Deutschland dem sozialen Dumping der globalen Standortkonkurrenz nicht gänzlich zum Opfer fällt, ist es erforderlich, zu internationalen Abmachungen zu kommen, die der globalisierten Wirtschaft wenigstens einige weltweit gültige Regularien auferlegt, die sie an der Steuerflucht hindert und eine gewisse Gemeinwohlbindung wiederherstellt.
Es muß nachdrücklich geltend gemacht werden, daß auch eine globalisierte Wirtschaft nicht ohne eine staatlich garantierte und öffentlich finanzierte Wohlfahrt funktionieren kann, so daß auch sie sich daran angemessen beteiligen muß, und zwar weltweit. Diese Pflicht sollte durch internationale Verträge auf der Ebene der UNO festgelegt werden.
35. Der Kampf um den Primat der Politik ist noch nicht verloren. Er kann nur gewonnen werden, wenn es auf UNO-Ebene zu einer Weltordnungspolitik kommt. Sie läßt sich nicht nur durch ein Mehr an multilateraler Politik realisieren, sondern vor allem durch das Zusammenwirken staatlicher und nichtstaatlicher Akteure (NROs). Schritte auf dem Weg zu einer Weltordnungspolitik wären der Abschluß
Eine solche Weltordnungspolitik muß sich auf einen vereinbarten ethischen Minimalkonsens gründen, wie er mit dem Entwurf für eine Erd-Charta in den Grundzügen bereits vorliegt.
Wesentlicher Bestandteil einer Weltordnungspolitik muß eine Weltfriedensordnung sein, die internationales Eingreifen zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Friedens und bei schweren Menschenrechtsverletzungen klar regelt und verhindert, daß "humanitäre Interventionen" für Hegemonialinteressen instrumentalisiert werden können. Ein wesentlicher Aspekt der Weltfriedensordnung ist die Anerkennung der Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag durch alle Mitgliedsstaaten der UNO.
Zum fairen Umgang mit der Verschuldung armer Länder sollte ein neutrales Schiedsverfahren zwischen Gläubigern und Schuldnern vereinbart werden.
Ein wichtiger Schritt zu einer Weltsozialordnung, wie sie in Artikel 28 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte versprochen wird, wäre die gleichmäßige Erhöhung der Ausgaben der Industrienationen für Entwicklungshilfe auf die einstmals versprochenen 0,7% des Bruttosozialprodukts.
36. Das Geschehen auf den Finanzmärkten hat sich losgelöst vom wirklichen Leben. Die Finanzmärkte haben wirtschaftlich wie politisch ungeahnte Dimensionen erreicht. Die inzwischen nahezu uneingeschränkte Bewegungsfreiheit des Kapitals hat eine weltweite Geldmaschinerie entstehen lassen, die ihre eigene Logik jenseits der "realen" Ökonomie besitzt. Spekulative Finanzgeschäfte in astronomischen Größenordnungen hebeln nationale Geld-, Währungs- und Finanzpolitiken immer stärker aus und verursachen zum Teil schwerwiegende volks- wie weltwirtschaftliche Instabilitäten. Deswegen muß der Abkopplung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft entgegen gewirkt werden, denn Währungsspekulationen untergraben die Handlungsfähigkeit der Staaten. Ansatzpunkte für ein Gegenwirken, gibt es mehr als genug: So wäre die Einführung einer internationalen Devisenumsatzsteuer wie sie bereits 1978 von dem Nobelpreisträger James Tobin vorgeschlagen wurde, ein Schritt in die richtige Richtung. Sie würde einen Beitrag zur Entschleunigung der Kapitalmärkte und zu einer globalen Umverteilung leisten, indem Teile des Steueraufkommens im Sinne der Weltordnungspolitik z.B. der Armutsbekämpfung eingesetzt werden könnten. Aber gerade auch an der Tobin Tax wird deutlich, daß nicht einzelne, sondern nur eine Kombination verschiedener Maßnahmen die Entwicklung aufhalten können. Denn auch die Tobin Tax hätte spekulative Währungsattacken wie bei den Finanzkrisen der neunziger Jahre nicht verhindern können. Deswegen gehören in den Forderungskatalog zur Regulierung des Finanzsystems auch die Enttabuisierung von Kapitalverkehrskontrollen, eine Beendigung der Auflagenpolitik des IWF, die verstärkte Beteiligung privater Investoren an den Kosten von Finanzkrisen, ebenso die Schließung von Steueroasen (Offshore-Finanzplätzen).
3.3 Biopolitik
26. Aus dem Bekenntnis zu Gott, dem Schöpfer allen Lebens folgt für die Kirche Jesu Christi, der fortschreitenden Verdinglichung und nahezu blasphemischen Entheiligung des Lebens durch die nach Patentbesitz strebende Biotechnologie entschieden zu widersprechen. Lebewesen verdienen als Geschöpfe Gottes Achtung und Respekt nach dem Maß ihrer Stellung im Gesamtzusammenhang des Lebens, diesem evolutionären Wunderwerk Gottes. Das sog. Herrschaftsgebot (Gen. 1,28) ist keine Lizenz zur Willkürherrschaft. Es ist das Mandat zu einem verantwortungsbewußten, achtungsvollen und nachhaltig gedeihlichen Umgang mit Nutzpflanzen und -tieren.
Das widersinnig auf Lebewesen, Zellkulturen und Gensequenzen erweiterte Patentrecht aber degradiert Leben zu "biologischem Material" und erteilt Patentbesitzern gerade eine solche Lizenz zu transgener Willkür nicht nur über einzelne Individuen, sondern über alle Nachkommen und ihr evolutionäres Schicksal. Die beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Klagen gegen die Europäische Patentrichtlinie von 1998 (???) bedürfen daher eindeutiger und einhelliger kirchlicher Unterstützung.
27. Die unantastbare Menschenwürde gründet in der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Zur Menschenwürde gehört unabdingbar das Recht auf "natürliche Selbstbestimmung", d.h. das Recht auf genetische Identität und Integrität, die menschlicher Manipulation als Fremdbestimmung entzogen bleiben muß. Die Kirche Jesu Christi und mit ihr Christen in verantwortlicher Stelle müssen daher allen Versuchen entgegentreten, die menschliches Leben am Beginn und am Ende – da, wo es schutzlos ist – zahlungskräftigen Interessen Dritter – und seien es dringende Heilungsinteressen – verfügbar machen oder gar opfern wollen.
Dies betrifft Forderungen nach Embryonen-Selektion, Forschung an und Verwendung von embryonalen Stammzellen und erst recht nach der Freigabe des sog. therapeutischen Klonens. Das betrifft auch fremdnützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen und die Verwendung "Hirntoter" zur Organentnahme ohne deren beizeiten gegebene eigene Zustimmung.
28. Gegen die durch die Biomedizin, aber auch durch die Werbewirtschaft erzeugte Illusion, als wäre perfektes, ewig junges und leistungsfähiges Mensch-Sein möglich, hat die Kirche Jesu Christi die Würde und damit auch die versicherungsrechtliche Gleichstellung Behinderter, leidender und genetisch mutmaßlich belasteter Menschen gegen Diskriminierungen der Versicherungswirtschaft zu verteidigen, sobald sie, wie jetzt schon in den USA, Gentests von ihren Kunden verlangt. Genetische Daten gehören mehr als alles andere zur Intimsphäre jedes Menschen und gehen außer den behandelnden Arzt niemanden etwas an.
Der biomedizinisch-industrielle Komplex verdient am kranken, nicht am gesunden Menschen. Daher hat die kurative Medizin bei der Inanspruchnahme der Mittel aus der gesetzlichen Krankenversicherung ein unverantwortlich hohes und noch wachsendes Übergewicht gegenüber der präventiven Medizin. Die Kirchen und mit ihnen Christen an verantwortlicher Stelle sollten daher nachdrücklich geltend machen, daß es besser und gesamtgesellschaftlich billiger ist, Krankheiten vorzubeugen, anstatt sie immer aufwendiger und immer technischer zu kurieren.
3.4 Migrationspolitik
37. Im Zeichen der Globalisierung nehmen heute auch weltweit Flucht- und Wanderungsbewegungen zu. Zu den Ursachen gehören Bürgerkriege, zwischenstaatliche Kriege, diktatorische, die Menschenrechte verletzende Regime, grenzenlose Armut und Hunger in den Ländern der Zweidrittel-Welt und Umweltprobleme, die den betroffenen Menschen ihre Existenzmöglichkeiten rauben. Die reichen Industrienationen reagieren auf den wachsenden Zuwanderungsdruck mit Abschottung nach außen und Repression gegenüber Migranten und Flüchtlingen nach innen. In der Bundesrepublik hatte die Ausländer- und Asylpolitik von Anfang an den Charakter der Gefahrenabwehr. Als sich jedoch im Jahr 2000 herausstellte, dass der deutschen Wirtschaft IT-Fachkräfte fehlen, schien sich ein Umdenken anzubahnen. Der strikte Anwerbestop wurde aufgehoben und eine sog. Greencard-Regelung geschaffen, die ausländische Computer-Spezialisten eine auf 5 Jahre begrenzte Zuwanderungsmöglichkeit eröffnet. Mehr noch: Alle Parteien fordern inzwischen ein Gesetz, das die Zuwanderung umfassend regelt. Sie verabschieden sich damit von der über Jahrzehnte gebetsmühlenartig wiederholten Behauptung, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Aber ist damit tatsächlich der große "Paradigmenwechsel" eingetreten, wie so oft behauptet wird?
Ein erster umfassender Entwurf für ein Zuwanderungsgesetz ist inzwischen vom Bundesinnenministerium vorgelegt worden. Bei Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Ausländerbeauftragten und Organisationen der Flüchtlingshilfe ist die erste Freude über die Tatsache, dass es ein solches Gesetz geben soll, inzwischen dem Schrecken darüber gewichen, was in diesem Gesetz steht (Prantl). Es ist einseitig an den ökonomischen Verwertungsinteressen der Wirtschaft und an den Zielen der inneren Sicherheit orientiert, während die Zuwanderung aus humanitären Gründen (z.B. für Flüchtlinge) weiter erschwert wird. So soll künftig zweierlei Recht gelten für die hochqualifizierten "besserverdienenden" Ausländer einerseits und allen übrigen andererseits. Die ersten sollen eine stabile Niederlassungserlaubnis erhalten, die anderen eine mindere Aufenthaltserlaubnis, die zunächst befristet ist und deren Verlängerung vom Ermessen der Behörden abhängt. Unterschiedliches Recht soll beim Familiennachzug gelten, beim Nachzugsalter von Kindern und beim Arbeitserlaubnisrecht. Mit Blick auf Flüchtlinge soll es Verschärfungen geben bei den Anerkennungsgründen und beim Asylbewerberleistungsgesetz. Viele der zur Zeit Geduldeten werden jedes Aufenthaltsrecht verlieren und in die Illegalität gedrängt. Aus Gründen der inneren Sicherheit sollen die Kontrollmöglichkeiten für Zuwandernde und hier lebende Ausländer erheblich verschärft werden. Ausländer geraten unter einen Generalverdacht, der der Fremdenfeindlichkeit in unserem Land zusätzlich Nahrung geben wird.
3.5 Gesellschaftspolitik
29. Die Unterordnung der Politik unter die Ansprüche der Wirtschaft ist auch eine Folge institutioneller Schwächen der Parteien-Demokratie. Zivilgesellschaftliche Kräfte, Nichtregierungsorganisationen (NRO), haben besonders auf internationaler Ebene bewiesen, daß sie Wirtschaftsmächten erfolgreich entgegentreten können. Die Kirchen gehören zu den stärksten zivilgesellschaftlichen Kräften. Sie sollten daher mit solchen NRO's zusammenarbeiten, die mit den Anliegen und Zielen des Konziliaren Prozesses übereinstimmen. Gemeinden sollten lokalen Gruppen solcher Organisationen, wenn möglich, in ihren Häusern Gastrecht gewähren.
Die institutionelle Schwäche der Parteien-Demokratie besteht darin, daß sie, obzwar gut geeignet zum Umgang mit Dissensen, kaum in der Lage ist, gesellschaftliche Konsense zu ermitteln und darzustellen, wie es gerade in kritischer Zeit nötig wäre. Daher wären institutionalisierte Foren zivilgesellschaftlicher Organisationen als politisch anerkannte gesellschaftliche Konsultative für die Politik als vierte Nicht-Gewalt zur Ergänzung der drei Gewalten des Staates erforderlich. Die Kirchen könnten in konziliarer Vereinbarung und in Erinnerung an ihre hilfreiche Rolle am Runden Tisch der DDR solche Foren etwa mit Hilfe ihrer Akademien veranstalten und mit dem Anspruch verbinden, daß sie auch politisch anerkannt und institutionalisiert werden.
Eine gelungene konsensbildende zivilgesellschaftliche Aktion war der Konsultationsprozeß der Kirchen, der zum "Gemeinsamen Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage" führte. Er sollte kein Einzelfall bleiben. Auch auf regionaler und lokaler Ebene sind solche Konsultationen möglich und wünschenswert, jedoch muß Ergebnissen dieser Art mehr politische Geltung verschafft werden.
30. Kirchen und kirchliche Gruppen könnten und sollten sich an der Organisierung von Marktmacht auf der Konsumentenseite beteiligen. Was gelegentlich und vereinzelt schon geschehen ist, sollte systematisch betrieben werden, z.B. der Boykott gentechnisch manipulierter Lebensmittel, der Boykott von Firmen, die Kinderarbeit in der 2/3-Welt ausbeuten, und der Boykott des zivilen Angebots von Firmen, die Kleinwaffen, Landminen und andere Rüstungsgüter für den Waffenhandel herstellen.
32. Die in der These 19 angeregte soziale Gestaltung des Dritten Sektors bedarf unbedingt geeigneter gesetzlicher Rahmenbedingungen im Steuer-, Arbeits- und Gewerberecht sowie weiterer Unterstützung durch die Gebietskörperschaften des Staates. Deshalb sollten sich die Kirchen auch in eigener Sache energisch dafür einsetzen, daß die Politik die Entwicklung regionaler Gemeinwesen-Ökonomien ermöglicht und nach Kräften fördert. Dies könnte u.a. dadurch geschehen, daß